Paradigmenwechsel im Tierschutz

 

Die Steppe mit ihren rohfaserreichen, aber energiearmen Gräsern ist der ideale Lebensraum der Pferde. Auch heute noch.

Ein Projekt zum Pferdewirtschaftsmeister muss auch tiergerecht sein. Das fordert nicht nur die Verordnung zum Pferdewirtschaftsmeister, sonden auch das Tierschutzgesetz. Wer heute ein Projekt plant, das den Anspruch der Tiergerechtigkeit haben soll, muss sich mit einem Paradigmenwechsel in der Tierhaltung auseinandersetzen. Sowohl im Sinne der Tiere als auch det Kunden, damit deren Akzeptanz nicht in Ablehung des Betriebes umschlägt.

Stand in der Vergangenheit die Tierquälerei sowie das Vermeiden von Schmerzen und Leiden im Fokus des Tierschutzes, konzentriert sich die Wissenschaft heute mehrheitlich auf die ethisch motivierte sowie ethologisch geprägte Tiergerechtigkeit (1). Die Briten bezeichnen Tiergerechtigkeit sehr anschaulich als „animal welfair (2), während Werbeargenturen in Deutschland im Auftrag von Politikern, Landwirtschaftsfunktionären und der Lebensmittelindustrie den marketinglastigen Begriff „Tierwohl“ kreierten, der weniger präzise ist, als die wissenschaftlich korrekte Bezeichnung „Tiergerechtigkeit“ (3).

Tiergerechtigkeit meint nach heutiger, wissenschaftlicher Sicht nichts anderes, als das Bemühen eines Tierhalters, dafür zu sorgen, dass es seinen von ihm abhängigen Mitgeschöpfen ( Familienmitglieder der Kunden) gut geht.

Tiergerechtigkeit ist viel mehr, als das bloße Vermeiden von Schmerzen, Leiden und Quälereien, es ist diejenige Haltung, bei der das Tier aus wissenschaftlicher, ethologischer Sicht seine genetisch in der Evolution erworbenen und fixierten Bedürfnisse so gut als möglich befriedigen, ausleben kann. Das verlangt vom Tierhalter, dass er das durch die Evolution geprägte Normalverhalten seines Tieres genau kennen muss, um eine tiergerechte Haltung bieten zu können. Ethologische Grundkenntnisse müssen noch stärker als bisher im Fokus der Tierhaltung stehen und bei der Beurteilung von Tierhaltungen herangezogen werden.

In diesem Zusammenhang muss zweifellos festgestellt werden, dass sich die Einstellung der vermehrt urbanisierten Gesellschaft zum Pferd wesentlich verändert hat. Es ist nicht mehr Nutztier, sondern Familienmitglied („companion animal“) mit einer sehr persönlichen Mensch- Tier- Beziehung und einem dementsprechend großen Engagement des Halters für die tiergerechte Haltung eines Pferdes. Derzeit lehnt die Mehrheit der urbanen Bevölkerung die Pferdehaltung/- nutzung noch nicht generell ab, zeigt aber schon ein deutlich zu registrierendes Unbehagen mit der derzeitigen Praxis (4). Wenn sich dieser Trend fortsetzt, gleich mit welchen berechtigten oder unberechtigten Argumenten, und dabei die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber der Pferdehaltung/ -nutzung schwindet, wird es zu einer existenziellen Depression in diesem Sport/ Wirtschaftsbereich kommen.

Pferden geht es gut, wenn sie 15h fressen und dabei sich im Schritt bewegen können, 7h ruhen dürfen und 2h am Tag Zeit haben sich mit sich und den Herdenmitgliedern zu beschäftigen.

Konzentriert sich ein Pferdewirtschaftsmeister bei der Beurteilung der generellen Tiergerechtigkeit vorrangig auf die Befriedigung der genetisch fixierten Bedürfnisse des Pferdes, dann stehen zwangsläufig die drei große Indikatoren zur Beurteilung einer tiergerechten Pferdehaltung in folgender Wichtigkeit vorrangig zur Diskussion (5) (6):

1. Futteraufnahme und gleichzeitige Bewegung (ca. 2/3 aller Bedürfnisse)

Aus ethologischer Sicht ist die Bewegung des Pferdes überwiegend der Futteraufnahme zuzuordnen, denn das Pferd frisst unter gleichzeitiger, ständiger Bewegung in der langsamen Gangart Schritt. Trab und Galopp werden nur bei Flucht oder Sozialverhalten beobachtet. Das Bedürfnis Bewegung ist deshalb zu überwiegendem Teil nur im Zusammenhang mit dem Bedürfnis Futterausnahme zu diskutieren, denn die Bewegung dient, bis auf wenige Ausnahmen, dem höherrangigem Ziel Futteraufnahme. Die Anatomie und Physiologie des gesamten Verdauungsapparates hat sich im Laufe der Evolution ausschließlich auf energiereduziertes, rohfaserhaltigen Grundfutter spezialisiert. Pferde fressen durchschnittlich 15 h/d, Fresspausen sind im Normalfall nicht länger als 3-4 h. Eine maßgebliche Kraftfutterfütterung erfüllt nicht die genetisch fixierten Bedürfnisse des Pferdes nach vielstündiger Futteraufnahme bei gleichzeitiger Bewegung im Schritt und kann daher nicht als tiergerecht bezeichnet werden. Das nicht befriedigte Bedürfnis der vielstündigen Futteraufnahme des Pferdes bei gleichzeitiger Bewegung korreliert mit dem massenweise Auftreten der oftmals vermeidbaren „Zivilisationskrankheiten“, wie EMS (Diabetes Typ II), Hufrehe, Kolik, Magengeschwüre, OC/ OCD, Problemverhalten, usw.. Die Wissenschaft sieht ein erhebliches Potential, eine tiergerechtere Pferdehaltung zu optimieren, denn das durchschnittliche Pferd ist nur 5,5 Jahre nach dem 3. Lebensjahr in Nutzung und unsere Pferde erreichen gerade einmal die Hälfte des biologisch möglichen Lebensalters (7) (8).

2. Ruheverhalten (ca. 1/3 aller Bedürfnisse)

Stehen und Liegen muss für ca. 7 h/d ermöglicht werden.

3. Komfortverhalten (ca. 1/10 aller Bedürfnisse)

Insgesamt haben Pferde das Bedürfnis, sich 2 h/d zu scheuern, zu wälzen, gegenseitig das Fell zu pflegen sowie dem Sexualtrieb nachzukommen.

   selbstverständlich haben Hütesicherheit, Klimaansprüche, Verletzungssicherheit, Bodenqualität, Futtermittelhygiene, usw. weiterhin eine wesentliche Bedeutung bei der Beurteilung einer tiergerechten Pferdehaltung.

Wenn ein Pferdewirtschaftsmeister den ethisch motivierten Tierschutzansatz der Wissenschaft aufgreift (aufgreifen muss?), dann wird das zwangsläufig auch zu einer veränderten Beurteilung der Tiergerechtigkeit führen können.

Mögliche, zur Diskussion anregende Beispiele:

  • Ein mehrstündiger Paddockaufenthalt ohne Grundfutteraufnahme befriedigt nicht das Grundbedürfnis von Futteraufnahme und Bewegung.
  • Alleinige, langandauernde Bewegung beim Turnier ist ohne Grundfutteraufnahme kritisch zu sehen.
  • Mindestens 12h/d, besser 15h/d Futteraufnahme sind mit Kraftfuttermitteln (Fressgeschwindigkeit 10 min/h/kg) nicht zu realisieren.
  • Bei 15h Futterzugang von Heu (MEPferd 6MJ/kg) und einer Fressgeschwindigkeit von 1 kg Heu/h nimmt ein Warmblutpferd geschätzt 90 MJ/d auf und kann damit eine mittlere Arbeitsleistung (+50% über Erhaltungsbedarf) energetisch ausgleichen (9).
  • Es ist zu diskutieren, ob Kraftfuttermittel überhaupt in einer als tiergerecht zu bezeichnenden Ration zum Einsatz kommen sollen/ dürfen.
  • Es ist zu diskutieren, ob dauerhafte Leistungen des Pferdes, die einen höheren Ausgleich von deutlich mehr als 50% erhöhtem Energiebedarf mit hochkonzentrierten Kraftfuttermitteln erfordern, noch tiergerecht sind.
  • Eine überwiegende Boxenhaltung ist keinesfalls tiergerecht, weil das langstündige Bedürfnis nach Futteraufnahme kombiniert mit Bewegung sowie das mehrstündige Bedürfnis nach Komfortverhalten nicht befriedigt wird.
  • Die alleinige Forderung nach isolierter, teils mehrstündiger Bewegung (Reiten, Paddock, Reithalle, usw.), um Pferde tiergerecht halten zu können, ist ohne Grundfutterangebot nicht zielführend zum Erreichen der Tiergerechtigkeit.

Literatur

(1) vergl. Aurich (Wien), Kunzmann (Hannover), Zeitler- Feicht (München), Bohnet (Hannover), Schrader (KTB) (Darmstadt), Wechsler (Ettenhausen CH)

(2) gemäß der vom “UK Farm Animal Welfare Council” formulierten “Five Freedoms”, heute ersetzt durch das “Farm Animal Welfare Committee”

(3) Methling und Unshelm: Umwelt- und tiergerechte Haltung von Nutz-, Heim- und Begleittieren, Berlin 2002:

(4) Aurich: Vortrag beim Berufsreitertag der BBR 2017, Neustadt/Dosse

(5) nach Schrader (KTBL): https://www.ktbl.de/inhalte/themen/tierhaltung/tierart/pferd/allgemein/tierverhalten/ und Zeitler- Feicht: Handbuch Pferdeverhalten, Stuttgart 2015

(6) KTBL: https://www.ktbl.de/fileadmin/user_upload/artikel/Tierhaltung/…/Tierverhalten.pdf

( 7) Brade: Berichte in Landwirtschaft  Bd.91, H.1, 3/13 (Bundesministerium für Ernährung  und Landwirtschaft)

(8) Hübbers: Tiergerechte Pferdehaltung, Bildungsseminar für die Agrarverwaltung Rheinland- Pfalz

(9) vergl: Arnold: Pferdewirtprüfung (Bd.8) –Tabellen zur Pferdefütterung-, Norderstedt 2016

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